Die Illusion des freien Willens

Offene Spielwelt vs. stringente Erzählung

Seit dem anhaltenden Siegeszug der GTA-Reihe erblicken immer mehr Spiel-Charaktere das digitale Licht einer offenen Spielwelt. Die oft auch als Sandbox-Spiele bezeichneten Titel (der Spieler als "Kind mit Spieltrieb", das seine Umwelt kreativ nach eigenem Gefallen erkunden und beeinflussen kann) fordern die Game-Autoren besonders, da es einen offensichtlichen Konflikt zwischen Storytelling (in anderen Worten Scripting und Pacing) und der vermeintlichen Freiheit des Spielers gibt.

Freie Spielwelten sind dabei allerdings nicht wirklich etwas neues. Seit Jahren erkunden vor allem westliche Rollenspieler riesige Fantasy-Welten, in denen sie unterschiedliche Aufgaben für verschiedene Gruppen oder Charaktere erledigen. Dem entgegengestellt waren hingegen schon immer die geradlinigen, japanischen Rollenspiele, die zwischen vorgegebenen Pfaden und Rundenkämpfen meistens dramaturgisch aufwendige Geschichten erzählen. Auch hier wird die oben angesprochene Ambivalenz deutlich.

Trotzdem gibt es Spiele, die versuchen Story mit Freiheit zu kombinieren und einer der besten Vertreter dieser Gattung ist meiner Meinung nach der RPG/Ego-Schooter-Mix Deus Ex. In einer nahen, von Terrorismus und Seuchen geplagten Zukunft übernimmt der Spieler die Rolle des Anti-Terror Agenten J.C. Denton. Dieser muss schon bald feststellen, dass die Welt nicht so schwarz und weiß gezeichnet ist, wie es ihm seine Vorgesetzten glauben machen wollen. Und auch das Gameplay ist alles andere als eintönig: Schon in der ersten Mission, in der wir die Freiheitsstatue aus der Hand einer Gruppe Terroristen befreien müssen, stehen uns eine Vielzahl an verschiedenen Vorgehensweisen offen, ohne dass wir allerdings das eigentliche Ziel, den Führer der Terroristen zu stellen, aus den Augen verlieren. Wir können uns frei in dem Gebiet um die Statue bewegen, verdeckt oder offensiv kämpfen, es gibt verschiedene Zugänge und optionale Nebenziele. Wir können sogar in letzter Konsequenz entscheiden, ob wir den Terroristen-Führer nur verhören oder erschießen, je nachdem was für einen Ton wir im Gespräch mit ihm anschlagen. Trotzdem dienen alle Handlungsweisen dem einen Ziel: die terroristische Bedrohung zu eliminieren.


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Einsatz auf Liberty Island: Der Beginn von Deus Ex.


Der Spieler befindet sich praktisch in einer Art Blase, in dem ihm eine Vielzahl an Möglichkeiten geboten werden, die aber trotzdem den vorgedachten Handlungsstrang zusammenhält. Haben wir unseren ersten Einsatz abgeschlossen, werden wir nach einem Besuch im UNATCO-HQ in die nächste Blase geschickt, Battery Park in New York, wo uns wieder klare Aufgaben genannt werden, unsere Möglichkeiten und das zu begehende Gebiet aber noch mal ein Stück komplexer werden. Spätestens in Hell's Kitchen, können wir den Hauptplot auch mal in den Hintergrund rücken lassen und uns anderen Subplots widmen, die uns aber letztendlich auch wieder auf den Pfad des Hauptplots leiten.

Wir sollen uns Zugang zu einem Lagerhaus verschaffen und uns ist dabei vollkommen freigestellt, ob wir dieses direkt aufsuchen oder uns erstmal Informationen oder Türcodes besorgen, wofür wir natürlich gewisse Gegenleistungen erbringen müssen. Besonders beim erstmaligen Spielen haben wir das Gefühl, wirkliche Handlungsfreiheit zu genießen, fühlen uns aber gleichzeitig durch den spannenden Plot und das geschickte Level-Design dazu veranlasst, die uns vorgegeben Ziele auch zu erfüllen. Die Entwickler lenken das Interesse des Spielers auf die wesentlichen Handlungspunkte und geben ihm dabei gleichzeitig ein Gefühl der Freiheit. Dazukommend bietet die Welt von Deus Ex viel Tiefe und Komplexität in Form von Büchern und Zeitungen, die uns über geschichtliche, gesellschaftliche und politische Entwicklungen informieren.


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Das Erklimmen dieser Container ist nur eine von vielen Möglichkeiten, um zum Ziel zu kommen.


Das macht wirklich gutes Game-Design aus: Dem Spieler das Gefühl geben, frei handeln zu können und ihm trotzdem mit Hilfe einer durchdachten, nicht zu ausladenden Levelarchitektur, eine fesselnde Geschichte zu erzählen, die wiederum durch eine glaubhafte Spielwelt, bei der man nicht das Gefühl hat, dass sie gleich hinter der nächsten Polygonwand aufhört, unterstützt wird.

Erwähnte Spiele
Deus Ex
http://de.wikipedia.org/wiki/Deus_Ex
GTA
http://de.wikipedia.org/wiki/Grand_Theft_Auto

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Medien-Aficionado, Transmedia-Enthusiast und Viva-Popcorn-Blogger Benny Hillmann schreibt darüber, wie und wovon uns Videospiele erzählen...

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