Dienstag, 17. März 2015

Geschichte (um)schreiben

Was uns Videospiele wie „Assassin's Creed“ über Geschichte zu sagen haben und welche Potentiale und Gefahren darin liegen.


“I have come to believe that the whole world is an enigma, a harmless enigma that is made terrible by our own mad attempt to interpret it as though it had an underlying truth.”
― Umberto Eco, Foucault's Pendulum


Seit der Veröffentlichung des ursprünglichen „Assassin's Creed“ im Jahr 2008 haben sich die nachfolgenden Spiele-Abenteuer, die sich allesamt um einen weltumspannenden Geheimbund von Meuchelmördern drehen, zu einer jährlichen Konstante auf dem Spiele-Markt entwickelt. Die Fortsetzungen und Ableger von „Assassin's Creed“ funktionieren insgesamt als eine Art Anthologie, die den Spieler in die Haut diverser Protagonisten in unterschiedlichen historischen Epochen schlüpfen lässt.


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The underlying truth: Hauptfigur Altair eignet sich am Ende von "Assassin's Creed" geheimes Wissen mit Hilfe des mysteriösen Edensplitters an.
Bild: Ubisoft



Mit viel Liebe zum Detail erwachen in den Spielen die historischen Abbilder von Metropolen wie Rom, Istanbul, Boston oder Paris virtuell zu neuem Leben und können vom Spieler frei erkundet werden. Bevölkert werden die weitläufigen Spielewelten von bedeutenden Persönlichkeiten wie Leonardo DaVinci, George Washington oder Napoleon Bonaparte. Als narrativer Aufhänger dienen den Spielen dabei meistens geschichtsträchtige Ereignisse und Umwälzungen, in anderen Worten: Kriege, Staatsstreiche und Revolutionen. „Assassin's Creed“ sinnstiftende Spielfläche ist somit die chaotische Geschichte der Menschheit an sich.


“Any fact becomes important when it's connected to another.”
― Umberto Eco, Foucault's Pendulum


Durch den Kanon (sprich: die alles umspannende Hintergrundgeschichte), der die einzelnen Ableger der Reihe miteinander in Verbindung setzt, wird die Komplexität und Verhältnismäßigkeit historischer Ereignisse allerdings in ein allzu einfarbig scheinendes Licht gerückt. Im fiktiven Weltentwurf der „Assassin's Creed“-Spiele wird das globale Geschehen maßgeblich von zwei Geheimbünden gelenkt, den Assassinen und den Templern, die sich um die Deutungshoheit von Begriffen wie „Freiheit“ und „freiem Willen“ einen Jahrtausende anhaltenden Kampf liefern. Durch diese Mythologie werden am Ende selbst die komplexesten historischen Ereignisse wie etwa der amerikanische Unabhängigkeitskrieg oder die Französische Revolution auf simple Schwarz-Weiß-Dichotomien herunter gebrochen. Denn die Assassinen und Templer haben natürlich ihre Finger in jedem Honigtopf der Geschichte, halten sämtliche unsichtbaren Fäden der weltlichen Führer-Marionetten und feilen fleißig an all den Ecken und Kanten der Wahrheit, die ihnen nicht zusagen. „Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt“, wie uns schon der alte Weise vom Berg lehrte.


“The lunatic (...) doesn’t concern himself at all with logic; he works by short circuits. For him, everything proves everything else. The lunatic is all idée fixe, and whatever he comes across confirms his lunacy. You can tell him by the liberties he takes with common sense, by his flashes of inspiration, and by the fact that sooner or later he brings up the Templars…There are lunatics who don’t bring up the Templars, but those who do are the most insidious.”
― Umberto Eco, Foucault's Pendulum


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Al Mualim unterrichtet seinen Schüler Altair in der Bergfestung von Masyaf über die geheimen Machenschaften der Tempelritter.
Bild: Ubisoft



Ich möchte hier nicht die Autoren und Spiel-Designer von „Assassin's Creed“ dafür kritisieren, dass sie Historisches mit Fiktionalem mischen, um eine möglichst interessante Geschichte zu erzählen – Schließlich ist das als kreative Unterhalter genau ihre Aufgabe und wird von populären Buchautoren wie etwa Dan Brown nicht anders gemacht. Wenn auch nicht unbedingt bedenklich, so finde ich es aber zumindest beachtlich, wie stark sich die Narrative eines „Assassin's Creed“ inzwischen den Welterklärungsversuchen von Hobby-Historikenr und Blechhut-Trägern ähneln, die ihre täglichen Verschwörungs-Eier gerne in die Online-Foren und -Kommentarbereiche unseres digitalen Zeitalters legen. Hier sehe ich das Problem eher im Bereich der Medienaneignung sowie der Lehr- als auch Lernkompetenz unserer digitalen Gesellschaft.

Ein Videospiel wie „Assassin's Creed“ kann heutzutage eine historische Epoche zum interaktiven (Er-)Leben erwecken, wie wir es vor wenigen Jahrzehnten nur zu träumen wagten. Natürlich fällt dagegen die klassische Erfahrung von Geschichte in Form analoger Schul- und Sachbücher, wie sie lange Zeit Gang und Gebe war, extrem ab. Die konstruierte virtuelle Realität wird für uns wahrhaftiger und unmittelbarer erfahrbar als die vermeintlich reale Wirklichkeit. Kurzum, das Virtuelle wird zur Hyperrealität, die die Realität selber hinter sich lässt.


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Das weitläufige Paris der französischen Revolution in "Assassin's Creed Unity", erschienen Ende 2014.
Bild: Ubisoft



Eigentlich müsste an dieser Stelle die moderne Schulbildung anschließen, Videospiele als Anstoß für die Auseinandersetzung mit Geschichte nutzen, an dargestellte Inhalte anknüpfen und einen Übergang von den subjektiv erfahrbaren virtuellen Welten eines „Assassin's Creed“ zu den objektiven Fakten der Geschichtsschreibung schaffen. Stattdessen herrscht heutzutage aber immer noch eine Parallelität der Medien, ein heraufbeschworener Kampf zwischen dem was lehrt (wie das Schulbuch) und dem was unterhält (das Videospiel). Dabei sind virtuelle Räume genauso Teil unserer Realität, wie physische Räume auch. Virtuelle Räume existieren nicht neben unserer Wirklichkeit, sondern in ihr. Junge Menschen brauchen einen Zugang zum Lernen über ihre Alltagswelten und somit heutzutage eben auch über das Virtuelle. Warum nicht eine Geschichtsstunde über die Französische Revolution mit einer virtuellen Exkursion in die Bastille von „Assassin's Creed Unity“ eröffnen, um anschließend die subjektiven Eindrücke zu diskutieren und das Dargestellte mit Hilfe von Gruppen- und Textarbeit richtig einzuordnen? Dadurch würde nicht nur historisches Wissen vermittelt werden, sondern auch die heute so dringend benötigte Fähigkeit, medial inszenierte Wirklichkeit von realer Wirklichkeit zu unterscheiden.


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Der amerikanische Bürgerkrieg als Stellvertreterkrieg zwischen Assassinen und Templern: George Washington und Hauptfigur Connor in "Assassin's Creed III".
Bild Ubisoft



Medien haben schon immer unser Bild von Wirklichkeit und auch unser Bild von Geschichte mitgeprägt. Wenn wir an die Kämpfe des zweiten Weltkriegs denken, haben wir heute automatisch die ausgewaschenen Bilder und das diffuse Licht der Schlachtszenen aus „Der Soldat James Ryan“ vor Augen, der seit seinem Erscheinen die Ästhetik von fiktionalisiertem Kriegsgeschehen maßgeblich mit geprägt hat. Stevel Spielberg und sein Kameramann Janusz Kaminski manipulierten hierfür extra die Linsen und Shutter der Filmkameras, um Look und Feel alter Newsreel-Aufnahmen aus dem Krieg zu simulieren. Oliver Stones Polit-Thriller „JFK – Tatort Dalls“ vermischt so geschickt fiktionale Spielfilmszenen mit historischem Filmmaterial sowie vermeintlich historischen aber in Wahrheit inszenierten Aufnahmen des Kennedy-Attentats, dass der Film bis zum heutigen Tag der Kultivierung verschiedenster Verschwörungstheorien zur Ermordung des 35. Präsidenten der USA beiträgt. Dan Brown bediente sich für seinen Bestseller „Sakrileg“ bei dem Sachbuch „Der Heilige Gral und seine Erben“ des umstrittenen BBC-Autoren-Duos Henry Lincoln und Micheal Baigent – Und verhalf so den haltlosen Thesen des schon damals in wissenschaftlichen Kreisen längst abgeschriebenen Buches zu neuer Popularität im öffentlichen Diskurs. In der unreflektierten Aneignung fiktiver Medien liegen also durchaus Gefahren in Bezug auf die Wahrnehmung von Geschichte, aber eben auch Potentiale. So bewog der „JFK“-Film die amerikanische Regierung z.B. dazu, einen Teil der Akten über das Kennedy-Attentat zu öffnen, um wenigstens ein Stück weit die nebulösen Hintergründe des Vorfalls aufzuklären und wilden Spekulationen entgegen zu treten.


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In der Industrialisierung angekommen: Das viktorianische London im neu angekündigten "Assassin's Creed Syndicate".
Bild: Ubisoft



Ein interessanter Aspekt der „Assassin's Creed“-Spiele in dieser Hinsicht ist, dass die dargestellten Ereignisse innerhalb ihrer fiktiven Welt überhaupt gar keinen Anspruch auf Wirklichkeit erheben. Denn sie sind simulierte (und damit subjektive) Erinnerungen ihrer Protagonisten, die der Spieler mit Hilfe einer Maschine namens Animus zugänglich gemacht werden, die Erinnerungen aus vererbter DNA lesen kann. „Assassin's Creed“ macht so selber auf die Subjektivität seiner historischen Darstellungen aufmerksam und wirft indirekt die Frage auf, inwieweit es überhaupt eine objektive Wirklichkeit von Geschichte gibt und ob die Deutung dieser nicht immer auch vom Blickwinkel des Betrachters abhängt.

Wir befinden uns im Zeitalter der Transmedialität. Nicht nur lösen sich die Grenzen zwischen den Medien auf, auch der Rahmen, der seit Jahrhunderten das Fiktive vom Realen trennte und daran hinderte Teil der Realität zu werden, ist im Begriff sich aufzulösen. Das hat spannende neue Formate zur Unterhaltung und zur Aneignung von Wissen zu Folge, fordert aber eben auch ein hohes Maß an Medienkompetenz und kognitiven Fähigkeiten, die nur im reflektierten Umgang mit den neuen Medien gewonnen werden können. Im Idealfall kann uns populäre Fiktion sogar einen spannenden Anstoß dazu bieten, uns mit neuen Themenfeldern auseinander zu setzen. Die „Assassin's Creed“-Spiele bieten unzählige solcher Anknüpfungspunkte. Aber so eine Form der Selbstaneignung von Wissen muss kultiviert werden. Populär-Kultur macht uns nur dann dümmer, wenn wir von vornherein nie gelernt haben, uns selber klüger zu machen. Wir alle sollten uns und auch unser Umfeld deshalb immer wieder darin fordern, neugierig zu sein, andere Blickwinkel einzunehmen und nicht nach einfachen Lösungen zu suchen.


“As the man said, for every complex problem there’s a simple solution, and it’s wrong.”
― Umberto Eco, Foucault's Pendulum


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Begleitende Links zum Thema:
"Assassin's Creed Unity": EU-Politiker wittert "kapitalistische Verschwörung"
http://derstandard.at/2000008315883/Assassins-Creed-Unity-EU-Politiker-ist-kapitalistische-Verschwoerung

Umberto Eco ohrfeigt Dan Brown
http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article122057718/Umberto-Eco-ohrfeigt-Dan-Brown.html

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