Samstag, 30. Mai 2009

Unwissenheit ist ein Segen

Subjektives Erzählen in Spielen

Als ich vor einiger Zeit den Horror-Schocker Dead Space gespielt habe, ist mir wieder bewusst geworden, wie packend und gleichzeitig erfrischend Spiele sind, in denen die Ereignisse komplett aus der Sicht der Hauptfigur erzählt und nicht etwa durch eingeblendete Zwischensequenzen unterbrochen werden.

Mit „aus der Sicht der Hauptfigur“ meine ich jetzt nicht etwa die Kameraperspektive (Dead Space ist kein Ego-Schooter, der Spieler blickt der Hauptfigur vielmehr „über die Schulter“), sondern die Tatsache, dass wir als Spieler alle Ereignisse vom Standpunkt des Protagonisten aus wahrnehmen. Wir sehen und hören nur das, was die Spielfigur sieht und hört. Wir behalten bei Gesprächen mit Personen die Kontrolle über den Charakter. Kein virtueller Kameramann entscheidet über die Einstellungen während geskripteter Ereignisse. Wir sehen nicht, was gerade in anderen Teilen der „USG Ishimura“ passiert, höchstens über eingeblendete Hologramme die Teil der Diegese sind. Alles passiert fließend im Spielfluss, während wir uns durch die unheimlichen Räumlichkeiten des Raumschiffes bewegen. Selbst Ladezeiten werden, als Schwebebahnfahrten getarnt, ins Geschehen mit eingebunden. Man könnte, in literaturwissenschaftlichen Termini gesprochen, von einem komplett internen Point of Viewsprechen.


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Subjektive Erzählperspetive: Sogar das HUD existiert bei Dead Space innerhalb der Spielwelt (Energie-Anzeige auf dem Rücken, Munitionvorrat als Hologram vor der Waffe)


Vorzeige-Beispiel für diese Art des Storytellings ist ohne Frage die Half-Life-Reihe. Bereits im 1998 erschienen Erstling verzichtet Entwickler Valve komplett auf Zwischensequenzen, die erklären was eigentlich genau gerade passiert. Stattdessen nimmt der Spieler Story-Details und Rückschlüsse darauf, wo er sich befindet, nur im Vorbeigehen war. Nach einer kurzen Texteinblendung zu Beginn, die erklärt, dass wir einen Physiker namens Gordon Freemann verkörpern, befinden wir uns auch schon in einer Magnetbahn, die uns durch einen endlos scheinenden Industrie- und Forschungskomplex befördert. Eine Stimme aus einem Lautsprecher klärt uns schließlich darüber auf, dass wir uns in der Forschungseinrichtung „Black Mesa“ befinden und anscheinend gerade auf dem Weg zur Arbeit sind. Weiterhin durchleben wir den scheinbaren Alltag unseres Protagonisten, bis plötzlich ein Experiment schief geht und die Hölle los bricht. Um uns herum explodieren Computer, Wände stürzen ein und Fahrstühle ab. Desweiteren wird der Komplex von fremdartigen Kreaturen und später auch vom US-Militär angegriffen bzw. infiltriert. Nur langsam setzt sich dem Spieler in den folgenden Spielstunden das Bild der Situation zusammen. Durch Gespräche von verängstigen Wissenschaftlern und Wachleuten erfahren wir nach und nach, dass das erwähnte Experiment anscheinend ein Dimensions-Portal zu einer anderen Welt geöffnet hat und das Militär jetzt versucht die ganze Angelegenheit zu vertuschen. Dem vollen Ausmaß sind wir aber nie bewusst. Als Gordon Freemann sind wir hauptsächlich damit beschäftigt, in diesem Chaos zu überleben und wie in Dead Space erleben wir alle Ereignisse aktiv mit. Der Spieler wird nie für bestimmte Sequenzen zum passivem Zuschauer degradiert.


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In vielen Action-Spielen werden wir nach einem Intro-Video direkt mit klar definierten Zielen ins Geschehen geworfen. Half-Life hingegen geht komplett andere Wege.


Wir wissen nicht mehr als die Hauptfigur Gordon Freemann. Letztendlich wissen wir sogar weniger, weil sein Hintergrund und seine Aufgaben als Forscher uns zu Anfang kaum bis gar nicht bekannt sind. Wir wissen nicht, wer oder was uns hinter der nächsten Ecke erwartet oder was generell eigentlich vor sich geht. Wir müssen kombinieren und schlussfolgern durch die Dinge, die uns das Spiel zeigt und die es eben nicht zeigt. Letztendlich ist uns vollkommen ungewiss, wohin uns unsere nächsten Schritte führen, welche Mysterien uns noch erwarten. Wir erschließen zusammen mit dem Helden das Unbekannte und das ist ein motivierendes da spannendes Spielgefühl.

Wie die Faust aufs Auge passt dazu ein Zitat von Valve's CEO Gabe Newell aus dem Jahre 2004 : A single-player game is really a movie that you create in cooperation with the player, where the lead actor doesn't have a copy of the script.


Erwähnte Spiele
Dead Space
http://de.wikipedia.org/wiki/Dead_Space
Half-Life
http://de.wikipedia.org/wiki/Half-Life

Anderes
HUD
http://de.wikipedia.org/wiki/Head-Up-Display
Diegese
http://de.wikipedia.org/wiki/Diegese
Point of View
http://www.fernuni-hagen.de/EUROL/termini/welcome.html
(Klicken: zur erzählenden Lyrik > Erzähltextanalyse > Point of View)

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Medien-Aficionado, Transmedia-Enthusiast und Viva-Popcorn-Blogger Benny Hillmann schreibt darüber, wie und wovon uns Videospiele erzählen...

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