“I won't scatter your sorrow to the heartless sea.”

Die Jagd nach dem weißen Wal und der Krieg gegen den Terror –Intertextualität und Allegorie in Metal Gear Solid V.

Phantom pain. Phantomschmerz. Nicht nur Big Boss a.k.a. Snake (neuster Zuname "Venom"), Protagonist und Spieler-Avatar von Metal Gear Solid V, kann ein Lied davon singen. Seinem "Militaires Sans Frontières" durch einen hinterhältigen Anschlag beraubt, der ihm selbst einen Teil seines Körpers kostete, schwört Venom Snake Rache. Rache für die gefallenen Kameraden seiner privatisierten Söldner-Armee, welche einst als Zufluchtsort all jener Kämpferseelen ohne Ideologie und Heimat dienen sollte. Rache für den Verrat und die Erniedrigung, die mit dem hinterlistigen Akt des Terrors verbunden waren. Rache für den Stumpf, der seit dem Erwachen aus dem Koma da ist, wo einst sein Arm, seine Waffenbrüder, sein "Outer Heaven" war. Und wie einst Kapitän Ahab aus Moby Dick droht auch er vom Sog seiner Vergeltung verschlungen zu werden.


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Mechanischer Arm statt Holzbein: Ahab und Snake sind Brüder im Geiste.
Bild: Konami Computer Entertainment



Metal Gear-Schöpfer Hideo Kojima liebt es mit Anspielungen und Hinweisen in seinen Trailern zu spielen. Die vielen Querverweise auf Herman Melvilles Literatur-Klassiker im bisherigen Promo-Material zu Metal Gear Solid V: The Phantom Pain kommen nicht von ungefähr. Man muss nur einmal den Klappentext der Wordsworth Classic-Ausgabe von Moby Dick in Augenschein nehmen:

"Moby Dick is the story of Captain Ahab's quest to avenge the whale that 'reaped' his leg. The quest is an obsession and the novel is a diabolical study of how a man becomes a fanatic."

Langjährige Fans der Reihe wissen bereits was Protagonist Venom Snake in The Phantom Pain bevorsteht: Der Abstieg in die Hölle, die Metamorphose zum Extremisten und zum Superschurken des Metal Gear-Universums. Auf der Suche nach seinem eigenen "weißen Wal" wird Snake zum Dämon.


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"Die Welt ruft nach Drecksarbeit. Und wir antworten. Kein größeres Gut. Keine gerechte Sache."
Bild: Konami Computer Entertainment



Hideo Kojima bedient sich also bei Melvilles Hauptmotiv und macht aus den Wahlfängern Snakes treu ergebene Soldaten, aus der Pequod die Motherbase und aus dem getriebenen Kapitän den getriebenen Söldnerkönig. Kojima wäre natürlich nicht Kojima, hätte er nicht schon von Anfang an seinen Spaß mit diesem intertextuellen Bezügen gehabt. So kündigte Kojima Productions bei den Video Game Awards 2012 unter dem Pseudonym "Moby Dick Studios" das Spiel The Phantom Pain an. Der Trailer, der zwei verwundete Männer auf der Flucht aus einem Krankenhaus zeigt, das von einer militärischen Streitmacht angegriffen wird, endet mit dem Bild eines gigantischen Wals, der plötzlich am Horizont erscheint und einen Kampfhubschrauber verschlingt. Bei einer späteren Vorspiel-Präsentation dieses Szenarios stellte sich dann einer der beiden fliehenden Männer, eine Figur mit bandagierten Gesicht, mit den Worten "Call me Ishmael" vor – eben genau jenen Worten, mit denen auch der allwissende Ich-Erzähler in Moby Dick seine Geschichte beginnt.


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"Wir setzen sie nicht auf See bei... was dann?"
Bild: Konami Computer Entertainment



Im neusten Trailer der Videospielmesse E3 sorgte beim Publikum vor allem eine Szene für Irritation: Snake schmiert sich bei einer Bestattungszeremonie die weiße Asche gefallener Kameraden ins Gesicht. Auch hier findet sich eine Verbindung zu Melville. So widmet sich das Kapitel The Whiteness of the Whale ausgiebig der verschiedenen Bedeutungen und Assoziationen der Farbe Weiß. Dazu heißt es in Hinblick auf die Toten:

„And from the pallor of the dead, we borrow the expressive hue of the shroud in which we wrap them. Nor even in our superstitions do the fail to throw the same snowy mantle round our phantoms, all ghosts rising in a milk-white fog.“

Snakes Geste lässt sich in diesem Kontext also als Ausdruck seiner Anteilnahme am Schmerz der Gefallenen verstehen. Er hüllt sein Gesicht selber in das Weiß der Toten, das Melville hier beschreibt, um den „Phantomen, die ihn quälen“ Respekt zu zollen. Das die Szene eine Seebestattung zeigt, kommt sicherlich in diesem Zusammenhang auch nicht von ungefähr.

– Das im Falle von Metal Gear Solid V mehr als willkürliches Literatur-Name-Dropping auf dem Programm stehen wird, sollte inzwischen also klar sein.


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Snake will seine toten Kameraden nicht zur letzten Ruhe betten. Sie sollen mit in den Kampf ziehen und Vergeltung üben.
Bild: Konami Computer Entertainment



Nun ist ja solche Intertextualität schön und gut, halt ein spaßiger Zeitvertreib für den engagierten Literatur-Nerd. Kojima geht aber einen entscheidenden Schritt weiter. Snakes Rachefeldzug ist nämlich auch eine Allegorie auf real-politische Geschehnisse der letzten zehn Jahre – Und hier wird es erst richtig interessant.

Im März 2014 erschien Metal Gear Solid V: Ground Zeroes, ein kurzer Prolog zum Metal Gear Solid V: The Phantom Pain, der als Stein des Anstoßes für die Handlung dienen sollte. Der Prolog handelt von Snakes Infiltration einer CIA Blacksite namens "Camp Omega" – gelegen an der südlichen Spitze Kubas und offizielles Hoheitsgebiet der USA. Ja, es ist natürlich das berüchtigte Gefängnis Guantanamo Bay, wie auch Rich Stanton in seiner Spiel-Kritik im Guardian festhält.

„'Ground Zeroes' is explicitly 'about' and based in Guantanamo Bay. And as the repeating structure and evolving narrative are at pains to point out, black sites like this and their grey legal status are a tribute to bureaucracy's unerring ability to triumph over ethics and what is "right" - just ask President Obama.“


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Ground Zeroes: Die "Nicht-Menschen" in Camp Omega.
Bild: Konami Computer Entertainment



Die Bedeutung, die dieser Ort für die weitere Geschichte von Metal Gear Solid V einnimmt, ist von höchster Relevanz. Es ist der Nullpunkt, der Katalysator für die Handlung von The Phantom Pain. Ein Ort, von dem aus ein dunklerer Pfad eingeschlagen wird, sowohl von Protagonist Snake als auch von der ganzen Spiele-Reihe an sich. Es ist der „Ground Zero“ für Snakes späteren Rachedurst. Hier beginnt der Fall einer Heldenfigur, genau wie im realen Guantanamo Bay die Grundwerte einer demokratischen Nation verraten wurden. Hier beginnt der Fanatismus, Zwischen kalten Käfigen, grausamen Verhören und den gebrochenen und misshandelten Gefangenen, deren Errettung Ziel des Spielers ist. Rich Stanton dazu:

"As the game makes clear over and over, these are legally non-people, stateless individuals that nobody wants and nobody is coming to save – except in a video game. They are non-people being gradually broken-down because that's what this place exists for; the ground-down zeroes of Ground Zeroes." If Kafka was alive today he'd be writing about Guantanamo, but instead we have Hideo Kojima and an irony; a medium predicated on interaction, a game about tactical espionage action, with an overarching theme of political inaction.“


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"Ich werde sie dazu zwingen, uns unsere Vergangenheit wiederzugeben."
Bild: Konami Computer Entertainment



Extremismus wird aus Extremismus geboren. Und hier wird Kojimas Moby Dick-Zitat auf einmal zur politisch aktuellen Metapher. Der hinterlistige Anschlag auf Snakes "Motherbase" am Ende von Ground Zeroes ist der Terror des 11. September ist der Verlust von Ahabs Bein. Der darauffolgende Feldzug, angetrieben durch den Schmerz des Verlorenen, kann nur im Fanatismus enden, im „War on Terror“, in der Jagd nach dem großen weißen Wahl. Kojima nutzt den Verweis auf einen über hundert Jahre alten literarischen Stoff durch ein interaktives Medium, um aus Wut geborenen Vergeltungsphantasien den Spiegel vorzuhalten.

Ich weiß, jetzt rollen viele Augenpaare. Kojima. Dass ist doch der Typ mit dem Fäkalhumor und der in Strapse und Leder-Tanga herum hüpfenden Scharfschützin. Der mit dem fliegenden Telepathen im SM-Outfit und den Monolog-liebenden James Bond-Bösewichten. Auch soll hier der teilweise sehr problematische und reißerische Umgang mit Themen wie sexueller Gewalt in Ground Zeroes nicht unerwähnt bleiben, wozu es im Guardian ebenfalls einen sehr guten entlarvenden Artikel von Ria Jenkins gab (siehe Link unten).


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Viel Haut, keine Stimme: Scharfschützin Quiet.
Bild: Konami Computer Entertainment



Ja, die Metal Gear-Titel sind voller merkwürdiger bis bedenklicher Klischees, abstruser Anachronismen, ausufernder Exposition und lächerlicher Plot-Twists. Anstatt das zu bestreiten, werden diese Makel aber oft mit einer ordentlichen Portion an Selbstironie vom Spiel selber umarmt. Zu Gute halten muss man den Spielen auch, dass im Gegensatz zu vielen anderen Werken ihre inhaltlichen Themen („Krieg ist die Geißel der Menschheit“) nicht im Widerspruch zum eigentlichen Spielablauf stehen: Jedes verschonte Leben wird belohnt (bzw. jedes genommene bestraft). Wer klug und bedacht vorgeht, kann die Geschichte zum größten Teil ohne tödliche Gewalt zu Ende bringen. Darüber hinaus ist die Reihe eine vor Querverweisen, Zitaten und historischen Details sprühende Fabel, oft so absurd wie eben auch visionär. Auf den ersten Blick mag einem das Ganze wie das Werk eines Wahnsinnigen vorkommen. Anderseits unterscheidet ja im Volksmund oft nur eine Sache zwischen Wahnsinn und Genie – 37 Millionen verkaufte Spiele der Schlangen-Saga sprechen für sich.


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"But in pursuit of those mysteries we dream of, or in tormented chase of that demon phantom that, some time or other, swims before all human hearts; while chasing such over this round globe, they either lead us on in barren mazes or midway leave us whelmed."
Bild: Konami Computer Entertainment










Links
"Metal Gear Solid V: Ground Zeroes review" von Rich Stanton:
http://www.theguardian.com/technology/2014/mar/20/metal-gear-solid-5-ground-zeroes

"Metal Gear Solid: Ground Zeroes fails to portray sexual violence meaningfully" von Ria Jenkins:
http://www.theguardian.com/technology/2014/apr/09/metal-gear-solid-ground-zeroes-sexual-violence

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